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Tormentillae rhizoma - Tormentillwurzelstock [Ph. Eur. 5. Ausgabe, Grundwerk 2005]

Stammpflanze: Potentilla erecta (L.) RÄUSCHEL / Blutwurz [Fam. Rosaceae / Rosengewächse]. Synonyme: Potentilla tormentilla STOKES., Potentilla tormentilla NECK., Tormentilla erecta L., daneben auch Fragaria tormentilla CRANTZ, Potentilla officinalis CURT., Potentilla silvestris NECKER, Potentilla tetrapetala HALLER F., Tormentilla officinalis CURT. Dt. Synonyme: Tormentill, Aufrechtes Fingerkraut. Darüber hinaus existieren zahlreiche weitere, heute jedoch nur selten oder und ausschließlich regional gebrauchte Bezeichnungen wie z. B. die von Form und Farbe des Wurzelstockes abgeleiteten Natterwurzel, Schlangenblume, Teufelsabbiß, Heydecken, Moorekkel, Rot Wurtzel, Rotwurz und Schwarzwurzel, die auf die kreuzweise gestellten Kronblätter hindeutenden Kreuzblümel und Kreuzblümle, die sich auf die fingerartig geteilten Blätter beziehenden Siebenfingerkraut, Fünffingerkraut und Fingerkraut, die sich auf den Gebrauch als Heilpflanze beziehenden Blutwurzel, Pfaffenblutwurzel, Blutreinigungswurz, Mariereinigung, Rötkraut, Ruhrwurz, Scheißwurz, Bauchwehkraut, Feigwarzenkraut, Krampfwurzel, Hertzwurtz, Schmerzwurz, Schnapswurzel (... weil der Ansatz zu Heilzwecken mit Schnaps erfolgt) sowie ferner verschiedenste von Tormentill abgeleitete Bezeichnungen wie Turmentill, Törmlatille, Turmelin, Dilledapp, Wurmtill und Armedill und sonstige Bezeichnungen wie Deutsche Ratanhia, Christuskrone, Jesuswurzel, Nabelwurz, Mooreckel, Birkwurz, Nabelkraut oder Steinkraut. Englisch: cinquefoil, tormentil, Tormentill.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Sehr formenreiche, von Mai bis August, gelegentlich auch bis zum Oktober blühende, 10 bis 35 cm hohe, ausdauernde Pflanze mit einem 1 bis 3 cm dickem, knolligem bis walzenförmigem, außen dunkelbraunem und bei Verletzung an den Schnittflächen rötlich anlaufendem Wurzelstock (= Rhizom). Dem Rhizom entspringen meist mehrere aufrechte, aufsteigende oder niederliegende, sich verzweigende, unterschiedlich behaarte jedoch stets drüsenlose, beblätterte Stengel mit einer Länge von 5 bis 50 cm. Die lang und dünn gestielten Grundblätter sind überwiegend 3zählig, selten auch 4- oder 5zählig gefingert mit breit verkehrt-eiförmigen, 7-9zähnigen Blattfiedern. Die sitzenden bis kurz gestielten (maximal 5 mm) Stengelblätter sind in der Regel 3zählig gefiedert, an der Spitze der Pflanze in seltenen Fällen auch ungeteilt, mit sitzenden oder kurz gestielten, verkehrt-lanzettlichen, 1 bis 3 cm langen, gezähnten, meist unbehaarten Blättchen. Die Nebenblätter der Grundblätter sind relativ klein und membranartig mit schmalen, lanzettlichen, ganzrandigen und zugespitzten Öhrchen und die der Stengelblätter krautig und meist 3-5spaltig fingerförmig eingeschnitten. Die Blütenstiele sind etwa 2 bis 7 mm lang und dünn. Besonderheit der Pflanze sind die überwiegend 4zähligen, gelben Blüten, die einen Durchmesser von etwa 1 cm und länglich-eiförmige bis linealisch-längliche, stumpfliche Außenkelchblätter besitzen. Die eilanzettlichen bis eiförmigen, locker behaarten Kelchblätter sind meist kürzer und zugleich breiter. Die  gelben, am Grunde etwas dunkleren Kronblätter sind 4 bis 6 mm lang und herzförmig. Das Androeceum besteht aus etwa 14 bis 20 Staubblätter, das apokarpe Gynoeceum aus 4 bis 8, zuweilen bis 20 Fruchtblättern. Aus den freien Fruchtknoten entwickeln sich eiförmige, runzelig gefurchte, seltener fast glatte Früchte, an denen der zur Fruchtreife fast identisch lange Griffel verbleibt.

Verbreitung: Heimisch in ganz Europa, auf den Azoren, der Westtürkei, im Kaukasus sowie in weiten Teilen Sibiriens. In Nordamerika eingeschleppt. In Deutschland mit Ausnahme der mitteldeutschen und Mainzer Trockengebirge überall häufig anzutreffen. Besiedelt sowohl mäßig trockene bis wechselfeuchte Magerrasen, Zwergstrauchheiden, lichte Wälder und Waldwege als auch Moorwiesen.

Droge: Der ganze oder geschnittene, von den Wurzeln befreite Wurzelstock von Potentilla erecta (L.) RÄUSCHEL, der bezogen auf die getrocknete Droge einen Mindestgehalt Tanninen von 7 Prozent aufweist, berechnet als Pyrogallol.

Beschreibung der Droge: Der ganze Wurzelstock ist bis 10 cm lang, 1 bis 2 cm dick, sehr hart und nur schwach verzweigt. Die Form kann zylindrisch spindelförmig, unregelmäßig knollig, gerade oder gekrümmt sein. Die Oberfläche ist braun bis rotbraun, höckerig uneben und weist Reste der abgeschnittenen Wurzeln und quergestreckte, vertiefte Narben der oberirdischen Sprosse sowie an der Spitze häufig Reste der oberirdischen Achsen auf. Der Bruch ist dunkelrot bis bräunlich-gelb, gesprenkelt, glänzend, hornartig spröde und höckerig zerklüftet. Typische mikroskopisch erkennbare Merkmale der rötlichbraunen Pulverdroge sind bis 60 µm große Oxalatkristalle, die in grob gezackten Gruppen vorliegen, Fragmente des dünnwandigen Parenchyms, welches rotbraun gefärbte Tannine enthält, und die gelegentlich vorkommenden Fragmente des Korkgewebes mit dünnwandigen, braunen, tafelförmigen Korkzellen.

Geruch und Geschmack: Nahezu geruchlos und stark adstringierender, bitterer Geschmack.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: Blutwurz, Ruhrwurz, Tormentillwurzel. Englisch: Tormentill. Lateinisch: Radix Tormentillae, Rhizoma Tormentillae.

Herkunft: Importe aus osteuropäischen Ländern.

Inhaltsstoffe: Gerbstoffe: Gehalt 17 bis 22%. Überwiegend Catechingerbstoffe, unter diesen überwiegend dimere bis hexamere Verbindungen wie [6,6']-all-trans-bi-(+)-Catechin, [4,8]-all-trans-bi-(+)-Catechin (= Procyanidin B3) (Hauptkomponente), [4,6]-all-trans-bi-(+)-Catechin (= Procyanidin B6) und [4,8]-2,3-trans-3,4-cis-bi-(+)-Catechin sowie in geringerer Menge monomere Verbindungen wie (-)-Gallo- und (-)-Epigallocatechingallat. Daneben bis etwa 3,5 % hydrolysierbare Gerbstoffe, unter diesen u. a. Agrimoniin (Gehalt bis 1 %) 2,3-Hexahydroxydiphensäure-Glucose, Pendunculagin, Laevigatin B (= Ellagitannin MA) und Laevigatin F (= Tormentillin). Triterpene: Tormentosid (= Tormentol = Tormentillsäureglucosid), Ursolsäure und 3-epi-Pomolsäure-28-ß-D-glucopyranosylester. Flavonoide: Kämpferol, Cyanidinglucosid, Leucoanthocyanidin, (+)-Catechin, (-)-Epicatechin [50], (+)-Gallocatechin und (-)-Epigallocatechin.

Wirkungen: Aufgrund des Gerbstoffgehalts besitzt Tormentillwurzelstock eine adstringierende Wirkung. Darüber hinaus nachgewiesen wurden zahlreiche weitere Wirkungen wie z. B. antimikrobielle, antivirale, immunstimulierende, antihypertensive und antiallergische Effekte.

Anwendungsgebiete: Unspezifische, akute Durchfallerkrankungen sowie leichte Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenraum.

Volkstümliche Anwendungsgebiete: Neben den o. g. Anwendungsgebieten wird Tormentillwurzelstock in der Volksheilkunde äußerlich auch zu Bädern und Umschlägen bei schlecht heilenden Wunden, Erfrierungen, Verbrennungen und Hämorrhoiden und innerlich bei Magenbeschwerden und Durchfall verwendet. Aufgrund des Gerbstoffgehalts der Droge erscheint die Wirksamkeit plausibel. Demgegenüber ist die ebenfalls gebräuchliche Anwendung bei Erkältungen, Monatsbeschwerden, Gonorrhoe, Gelbsucht, Leber- und Lungenleiden abzulehnen.

Gegenanzeigen: Keine bekannt.

Unerwünschte Wirkungen: Bei empfindlichen Patienten Magenbeschwerden bis hin zu Erbrechen.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Keine bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Die empfohlene mittlere Tagesdosis beträgt 4 bis 6 g Droge. Zur Teebereitung 3 bis 4 g fein geschnittenen oder noch besser pulverisierten Tormentillwurzelstock (1 gehäufter Teelöffel entspricht etwa dieser Menge) mit etwa einer Tasse kochendem Wasser übergießen, 10 min am Sieden halten und abseihen. Alternativ kann auch ein Kaltansatz erfolgen. Zu diesem Zweck 2 - 3 Esslöffel mit einem Liter kalten Wasser ansetzen, kurz aufkochen und anschließend abseihen oder durch ein Teesieb geben. Bei Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenraum mehrmals täglich mit dem lauwarmem Teeaufguss spülen, bei Durchfall 2- bis 3mal täglich zwischen den Mahlzeiten eine Tasse frisch bereiteten Teeaufguss trinken. Bei Anwendung von Tormentilltinktur 10 bis 20 Tropfen in ein Glas Wasser geben und mehrmals täglich Mund- und Rachenschleimhaut spülen.


Bilder:

Ebenso wie der überwiegende Teil der Fingerkräuter besitzt die Blutwurz handförmig gefiederte Blätter (s. Foto links und Abbildung aus Köhlers Medizinal-Pflanzen). Trotzdem ist die Art einfach wie kaum eine andere Pflanze zu erkennen, da sie eine 4zählige Blütenhülle aufweist (s. Abbildung rechts).


Literatur: Europäisches Arzneibuch, 5. Ausgabe, Grundwerk 2005; Hager-ROM 2005, Springer-Verlag; Jäger EJ, Werner KW, Rothmaler - Exkursionsflora von Deutschland, Band 4, Gefäßpflanzen: Kritischer Band, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg Berlin 2002; Marzell H, Wörterbuch der Deutschen Pflanzennamen, Verlag S. Hirzel, Leipzig 1943; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 223 vom 05.05.1988  (Berichtigung 13.03.1990); Schilcher H, Kammerer S, Leitfaden Phytotherapie, Urban & Fischer, München Jena 2003; USDA, ARS, National Genetic Resources Program. Germplasm Resources Information Network - (GRIN) [Online Database]; Sticher O, Steinegger E, Pharmakognosie - Phytopharmazie, Springer Verlag, Berlin Heidelberg 1999.


© Thomas Schöpke